102 Jahre! Was für ein langes Leben. Der Maler Gerhard Michel, der in Schönberg (Landkreis Freyung-Grafenau) lebt, hat aber nicht nur ein gesegnetes Alter, sondern ist nach wie vor aktiv, er malt und beteiligt sich an Kunstausstellungen. Zu seinem 100. Geburtstag vor zwei Jahren erschien im Lichtland-Verlag das Buch „Kraft und Wandel in den Schachten“ – die Bilder stammen aus seiner Feder, die Gedichte von Karl-Heinz Reimeier. In der App WanderKultur findet man unter „Frauenau“, in der Tour „Von Buchenau auf die Schachten“ einen kleinen Einblick in dieses Werk.

Kraft und Wandel: Dieser Titel passt nicht nur zu den uralten Baumriesen auf den Schachten, sondern auch zum Künstler selbst. Er ist für dieses Alter in phänomenaler körperlicher und geistiger Verfassung. Was ist das Geheimnis, um so alt zu werden? Er habe gute Anlagen, Tanten und Onkeln wurden über 90 Jahre alt, seine Schwester Annemarie fast 99. Doch alt zu werden ist das Eine, sich aber noch an Details von Ereignissen zu erinnern, die Jahrzehnte zurückliegen das Andere. „Ich habe mich immer für sehr viel interessiert und damit auch im Ruhestand nicht aufgehört.“
Mit Interesse bleibt man geistig fit
Immer schon hat Michel gemalt. Sogar als er im Zweiten Weltkrieg auf einem Minensuchboot eingesetzt war. „Nach der Kapitulation am 9. Mai 1945 blieben wir vom Minenräumdienst noch in Norwegen und wurden dafür von den Allierten bezahlt. Doch nachdem keine Gefahr mehr herrschte, konnte ich wieder mit dem Malen anfangen – ein Kamerad hatte Aquarellfarben mitgebracht.“ Anfang 1946 verließ er die Marine, Ende 1946 begann er eine Ausbildung bei der bayerischen Finanzverwaltung in Dillingen, wo seine Verlobte wohnte. Künstler und Finanzbeamter – ist das kein Widerspruch? „Ich brauchte Geld, doch es war auch ein Versehen“, erinnert er sich. Denn in Nordböhmen, wo er zuhause war, hieß es „Rentamt“. „Ich dachte, das ist das gleiche. Und als im merkte, dass ich nicht die Renten auszahle, sondern Steuergeld eintreibe, war ich schon mitten in der Ausbildung und wollte es bis zum Abschluss durchziehen“, lacht er im Rückblick.
Wegen der guten Luft in den Bayerwald
Aus gesundheitlichen Gründen riet ihm sein Arzt, der aus Viechtach stammte, einen Wohnortwechsel. Der Bayerische Wald sei ideal. „Also bewarb ich mich und wurde sofort versetzt, weil damals ja keiner in diese Region wollte, die als Bayerisch-Sibirien gefürchtet war.“ Eine Woche nach seiner Ankunft in Schönberg wusste Michel, dass er hier blieben will – und der Arzt hatte Recht behalten. Die Luft tat ihm gut. Doch nicht nur das: Auch die Geselligkeit der Menschen gefiel ihm. „Damals hatte ja niemand was, man half zusammen, freute sich über jede Kleinigkeit.“
Das habe sich gewandelt, meint er nun nachdenklich. „Mit steigendem Wohlstand ist ein Teil der Verbindung der Menschen verlorengegangen.“ Es sind Sätze wie diese oder eine kurze Analyse der aktuellen politischen Verhältnisse, die zeigen, dass der Künstler nach wie vor viel liest und sich veilfältig interessiert. Das sei das Wichtigste, meint er, um auch im Ruhestand geistig fit zu bleiben.
Und so wechselte Michel, der als Finanzvorsteher (heute „Finanzamtsleiter“) erst in Viechtach, dann am Finanzamt Grafenau (von 1980 bis 1987) tätig war, nahtlos von einem Beruf in den anderen.

Über 5.000 Bilder gemalt
Über 5.000 Bilder (die Skizzen nicht eingerechnet) hat der Künstler gemalt – ob Aquarell, Pastell oder Holzschnitt. Doch vor allem auch sein Engagement in der niederbayerischen Kunstszene ist bemerkenswert. Er selbst ist seit 1954 Mitglied im Berufsverband Bildender Künstler Niederbayern-Oberpfalz sowie seit 1968 in der Münchner Künstlergenossenschaft. Jahrzehntelang betreute er die Viechtacher Ausstellung und nahm am Zwiesler Buntspecht teil. Dort wiederum lernte er den damaligen Wald-Vereinssektionsvorsitzenden Oskar Langer kennen. „Wir unterhielten uns über die Donau-Wald-Gruppe und entwickelten die Idee, eine regionale Künstlergruppe zu gründen.“
Mitbegründer des Bayerwaldkreis e.V.
Der Bayerwaldkreis e.V. war geboren und Michel sollte von 1966 bis zur Auflösung 1997 dessen ehrenamtlicher Geschäftsführer sein. So machte er auch die Bekanntschaft von Erika Steppes, Tochter des berühmten deutschen Landschaftsmalers Edmund Steppes, deren Wunsch es später war, dass er das künstlerische Werk beider verwalten sollte, was formell mit einer Adoption und dem Doppelnamen „Steppes-Michel“ besiegelt wurde.
Er selbst aber nennt sich Gerhard Michel – und dem gratulieren wir ganz besonders zu seinem außergewöhnlichen Jubeltag, den er am 12. Februar feiern konnte!
